Wir haben's geschafft: Am 5. Oktober sind wir auf unseren Pferden “Tarim” und “Terek” im Reitzentrum “Sharapovo” am westlichen Stadtrand Moskaus angekommen, nachdem wir durch acht verschiedene Länder geritten waren.
Wir hatten zwei Ziele: 3000 km im Sattel ohne irgendeine motorisierte Hilfe zu reiten und eine Art “kultureller Brücke” nach Moskau zu bauen, die sich auf Vertrauen, Solidarität und menschliche Kontakte sowie gegenseitiges Kennenlernen stützen sollte.
Ja, Moskau, die Stadt der goldenen Kuppeln, die Stadt-Fata Morgana, die wir vergebens im Jahre 1997 versucht hatten, im Sattel zu erreichen. Aber damals hatten wir nicht alle notwendigen Dokumente und Genehmigungen rechtzeitig bekommen. Dieses Jahr dagegen steckten sie tief in unseren Taschen, und es schien uns nicht wahr zu sein, dass auf dem russischen Visum “reist im Sattel eines Pferdes ein” geschrieben war! Dafür sind wir Frau Elena Touchkoumskaya Merluzzi sehr dankbar, da sie als Präsidentin des Kulturvereins "Unità" von Görz (der die Beziehungen zwischen unserer Region und Russland fördert) sich die Mühe gegeben hat, das für uns zu besorgen. So ist ein Traum nach zehn Jahren Wirklichkeit geworden.
Drei Monate im Sattel – wir sind nämlich am 7.07.2007 von Palmanova in Friaul losgeritten – die wir vielleicht der Einfachheit halber in 3 Wörtern zusammenfassen können: abenteuerlich, mitreissend, hart. Das Abenteuer bestand darin, dass wir jeden Morgen unser Lager abmontierten und dabei gar nicht wussten, wo wir am nächsten Abend sein würden; mitreissend, weil die menschlichen Kontakte immer von grosser Gastfreundlichkeit und Grosszügigkeit geprägt waren; hart, weil wir die Verantwortung der Gesundheit und des Wohlseins unserer Pferde trugen und jeden Tag für drei lange Monate suchen mussten, was ihnen notwendig war. Aber unsere ständige Mühe, sie in bester Kondition zu halten, wurde von der Sicht des glänzenden Felles, des guten Appetits, der Munterkeit und Lebenslust von Tarim und Terek gut belohnt. Das war für uns genau so wichtig, wie die Kreml-Türme und die phantasievollen Kuppeln von Sankt Basil auf dem Roten Platz.
Während dieser Zeit haben wir auch regelmässig Reisekorrespondenzen für die friulanische Wochenzeitung “Il Nuovo” geschickt, die für uns auch einen ständigen Kontakt mit unseren Freunden und Verwandten bedeuteten.
Unsere Reisegefährten auf diesem herrlichen Abenteuer waren die Pferde Terek und Tarim. Der erste ist ein angloarabischer Wallach, 1992 in Sardinien geboren, der alle unsere grossen Reisen mitgemacht hat; Tarim dagegen ist ein Trakener-Wallach, 5 Jahre alt, 2002 in Rheinfelden (Baden-Württemberg) geboren.
Tarim machte seine erste Reiseerfahrung und deswegen waren seine Ausdauer und Anpassungsfähigkeit natürlich für uns ein grosses Fragezeichen, aber er hat alle Erwartungen übertroffen und hat sich als unermüdlich und extrem zuverlässig bei allen Situationen erwiesen. Nicht zufällig waren die besten Pferde der preussischen Kavallerie Trakehner.
Gute topographische Karten sind natürlich unentbehrlich, das wissen ja alle Reisenden. Für Slowenien, Oesterreich, Ungarn und Slowakei hatten wie sehr gute Karten im Massstab 1:50.000, so konnten wir immer die asphaltierten Strassen vermeiden und auf Schotterwegen und Pfaden reiten. In Polen hatten wir Karten im Massstab 1:100.000 (wir sind fünf Tage lang auf dem Weichsel-Damm geritten), in Weissrussland und in Russland dagegen im Massstab 1:200.000. In diesen letzten zwei Ländern sind nur die Hauptstrassen asphaltiert und der Verkehr auf den Nebenstrassen ist so gut wie nicht vorhanden.
Wenn man wie wir nur auf dem Land reitet und die Bauern um Hilfe und Unterkunft bittet, muss man unbedingt ein bisschen die Sprache der Einheimischen lernen, sonst würde man grosse Verständnisschwierigkeiten haben, und es wäre auch unmöglich, die vielen interessanten Geschichten zu verstehen, die unsere Gasgeber so oft gerne erzählen.
In dieser Reise habe ich meine (eigentlich nicht sehr guten) Slowenisch-Kenntnisse gebraucht, um mit viel Phantasie einfache Sätze auf Slowakisch und Polnisch zu improvisieren. Da diese drei Sprachen sehr ähnlich sind, hat es ziemlich gut funktioniert! Russisch hatte ich dagegen für die Reise von 1997 gelernt, so habe ich diese Kenntnisse nur aufgefrischt, aber ich war leider keine fleissige Schülerin, und ich habe es dann oft bereut.
Ein durchschnittlicher Tag im Sattel ist ziemlich anstrengend: Man steht um 5.30 Uhr auf, um die Pferde zu tränken und zu füttern. Dann putzt man sie gründlich, sattelt sie und befestigt das ganze Gepäck mit der grössten Sorgfalt auf den Sätteln, damit es die Pferde so wenig wie möglich stört.
In der Zwischenzeit muss man natürlich das Zelt abschlagen und den Elektrozaun abmontieren. Ebenso muss alles gut zusammenfaltet und sehr eng gepackt werden, um Platz zu sparen.
Gegen 8 Uhr waren wir normalerweise fertig und wir konnten losreiten. Der Tagesritt dauerte zirka zehn Stunden, davon sind sieben echte Marsch und die restlichen drei sind kurze oder lange Pausen, die notwendig sind, um sich auszuruhen, Wasser und Lebensmittel bzw.Futter zu kaufen bzw. zu suchen und um Informationen (in den verschiedensten Sprachen) über den Weg zu sammeln. Schon um sechs Uhr abends muss man unbedingt einen geeigneten Platz für die Nacht suchen, um den Bedürfnissen des 2- und 4-beinigen Teams gerecht zu werden. Da es in Osteuropa nicht viele Reithöfe gibt, wenden wir uns fast immer an die einheimischen Bauern.
Wir überschreiten die slowenische Grenze am Sonntag, den 8. Juli in Görz. Es gibt keine Polizisten bei dem Fussgänger- und Radfahrerübergang von San Gabriele, als sei es schon ein Vorgeschmack von Schengen. In einer Minute sind wir hinüber.
Unwillkürlich denken wir an die absurden Schwierigkeiten, die wir bei der gleichen Grenzen vor 10 Jahren hatten. Damals waren wir die ersten, die die Grenze im Sattel überqueren wollten, und die slowenischen Behörde wussten mit uns nichts anzufangen. Monatelang stockte unser Antrag auf irgendeinem staubigen Schreibtisch, und nur der Eingriff des italienischen Konsuls konnte den Vorgang erledigen.
Unsere Reise geht quer durch Slowenien und verläuft nördlich von Lublijana in Richtung Steiermark. Es sind wunderbare Tage im Gebirge zwischen Wäldern und Wiesen. Unsere Etappen sind: Mala Lazna, im Tarnovski Gozd; Jagrsce in der Nähe von Idrija, wo ein starkes Gewitter uns erlaubt, die Wasserdichte von Zelt und Regenmäntel zu testen; Hotavlje im Sora-Tal; Grad pri Cerklje in der Nähe von Kamnik ; Nova Stifta; Topolscica; Slovenj Gradec; Radlje.
Wir reiten weiter in Richtung Nord-Osten: zuerst quer durch die Steiermark, dann durch Ungarn, wo die Landschaft eigentlich ein bisschen monoton ist. In diesen Tagen steigt die Temperatur bis 40 Grad und die Dürre lässt alles gelb werden.
Wir reiten auf dem Damm vom Fluss Raab/Raba bis Gyor, dann dem Moson-Dunai entlang bis zur slowakischen Grenze, die in der Mitte von der Donau- Brücke verläuft.
Die Slowakei ist für uns das schwierigste Land, denn es gibt sehr wenige Pferde und gar keine kleinen Bauern. Landwirtschaft und Viehzucht sind ausschliessliche Aufgabe der grossen Agrargenossenschaften, die einmal staatlicher Besitz waren und heute fast alle privatisiert sind. Die Landschaft ist, wie in Ungarn, von unendlichen Feldern geprägt, die mit Mais und Gerste bebaut sind.
In Polen dagegen ist alles ganz anders, es ist eine andere Welt: nur Wiesen und kleine oder sogar winzige Felder, mit Getreide oder Luzerne bebaut, voneinander von Bäumen und Hecken getrennt; die Landschaft ist belebt und abwechslungsvoll.
Unsere Route verläuft östlich von Krakau und richtet sich sobald wie möglich auf den Weichsel-Damm, eine wunderbarer, grüner und weicher Pferdeweg, auf dem wir 200 km in Richtung Nord-Osten reiten. In Annopol verlassen wir den Damm und reiten weiter nach Nord-Osten bis Terespol, an der weissrussischen Grenze.
Unser Uebergang von der mitteleuropäischen zur russischsprachigen Welt ist vom schwierigsten Moment der ganzen Reise gekennzeichnet, d.h. von der Einreise nach Weissrussland, die 2 Tage an 2 verschiedenen Grenzübergängen in Anspruch nahm. Und warum? Wir waren auf unseren Beinen und nicht auf Rädern (ohne Auto oder LKW), und das ist einfach nicht vorgesehen!
Obwohl alle unsere Dokumente einwandfrei waren, hat die uns wohlbekannte Bürokratie die Einreise zu einem nervenaufreibenden Warten gemacht, am ersten Tag inmitten von vielen Autos, am zweiten Tag zwischen hunderten von LKWs, wobei die Bedürfnisse der Pferde einfach ignoriert wurden. Die armen Tiere waren gezwungen, stundenlang ohne Wasser und Nahrung zu warten. Gott sei dank halfen uns – ganz unerwartet – zwei wahre Schutzengel: in Polen ist es Sofia Arzeniuk, eine junge und dynamische Angestellte der Gemeinde Terespol, die die polnischen Behörde dazu bewegt, uns auch “ohne LKW” passieren zu lassen; in Weissrussland dagegen ist es Lubov Stepanovna Balabaniuk, Haupttierarzt des Distriktes Brest, die sich um uns kümmert, als wären wir ihre eigenen Kinder, als die weissrussichen Zöllner uns in einer stockfinsteren Nacht endlich “freilassen” und wir den Zollterminal Koslovici verlassen.
Es ist der erste Septembertag und Weissrussland empfängt uns mit einem kleinen Vorgeschmack auf den Winter. Die Blätter werden schon gelb und Wind, Kälte und Regen werden jetzt unsere ständigen Begleiter. Zum Glück sind wir gut ausgerüstet und dank Lubov's Hilfe und der Unterstützung von vielen Tierärzten und Zootechnikern finden wir jede Nacht ein Dach über dem Kopf.
Wir sind also Gäste bei vielen Kolchozen, den staatlichen Agrargenossenschaften, die in Weissrussland das Alleinrecht haben, Landwirtschaft und Viehzucht zu betreiben.
Unsere Route verläuft noch einmal quer durch das Land, leicht südlich von der Hauptstadt Minsk. Es sind 500 km von unendlichen Feldern (sehr gepflegt und grösstenteils mit Getreide bebaut) und unendlichen Birken- und Fichtenwäldern. Die Häuser auf dem Land sind alle aus Holz, klein, einstöckig, mit bunten Farben bemalt, und der Fensterrahmen ist weiss, oft geschnitzt und mit Lochstickereien versehen. Die Häuser sind blau und gelb, blau und himmelblau, grün und weiss, gelb und braun, manchmal sogar rosa oder lila, und mit ihren bunten Holzzäunen und ihren Gärten voll Blumen sehen sie aus wie richtige Märchenhäuser.
Am 21.September überschreiten wir endlich, ohne besondere Schwierigkeiten, die letzte Grenze unserer Reise, die Grenze zwischen Weissrussland und Russland. Wir haben riesiges Glück: Nach 20 Tagen schlechten Wetters empfängt uns jetzt in Russland der sogenannte Grossmutter-Sommer: am Tag ist es wirklich sommerlich warm, bei Nacht dagegen sinkt die Temperatur immer bis Null.
Auf dieser letzten Strecke ist unsere Route identisch mit der Route Napoleons im Jahre 1812! Viele Tage lang bleiben wir auf der Staraja Smolenskaja daroga, die alte Strasse von Smolensk, die einzige, die bis zum Bau der heutigen Magistrale Minsk – Moskau (im 20. Jahrhundert) existierte.
Am Anfang handelt es sich um eine normale Schotterstrasse mit wenig Verkehr, dann wird sie zu einer Sandpiste mit tiefen Furchen, die bestimmt mehr für Pferde als für Autos geeignet ist. Am 3. Oktober reiten wir auch auf die Ebene von Borodino, wo am 26. August 1812 die blutigste Schlacht Napoleons stattfand, die Tolstoj so meisterhaft in seinem Werk "Krieg und Frieden" beschreibt.
Stellen wir uns die Frage, ob es im dritten Jahrtausend noch möglich ist, alternativ zu reisen, dann können wir sie bestimmt bejahen: wer so reist wie wir, ohne irgendeine motorisierte Hilfe, muss sich unbedingt auf die Kultur der Gastfreundlichkeit verlassen, denn es ist sehr selten, im gleichen Ort eine Unterkunft für Menschen und Pferde zu finden.
Aber die Pferde selbst öffnen die Herzen und katalysieren Bekanntschaften auf der Strasse, die eigentlich nur für einen “langsamen” Reisenden möglich sind.
Wenn wir an die vielen Länder denken, die wir überquert haben, scheint uns die Gastfreundlichkeit wirklich das Leitmotiv unserer Reise zu sein.
Es ist unmöglich, alle Emotionen der neuen Bekanntschaften wiederzugeben. In kurzem sagen wir, dass Slowenien immer unser Lieblingsland bleibt für die herzliche und spontane Gastfreundlichkeit; in Oesterreich beeindruckt uns noch einmal die grosse Liebe der Leute für die Pferde und die grosse Bereitschaft, dem Wanderer und Reisenden zu helfen; in Polen sind die Leute sehr offen und grosszügig und ein polnisches Sprichwort, das alle gern zitieren, sagt: “Gast im Haus, Gott im Haus”; und was die Weissrussen und die Russen betrifft, innerhalb weniger Stunden entstehen so tiefe Freundschaften, dass am nächsten Morgen das Sich -Verabschieden fast schmerzhaft wird. Zu einem Zeitpunkt, wo man in Italien so viel Misstrauen und Argwohn den Ausländern gegenüber zeigt, desto wichtiger scheint es uns, von unseren Erlebnissen zu berichten: trotz unserer etwas extravaganten Art zu reisen, wurden wir überall sehr offen empfangen und herzlich und grosszügig beherbergt.