Manchmal werden die Träume Wirklichkeit. Was wir im Sommer 1997 mit unseren Pferden Sebiba und Terek erlebt haben, war die Verwirklichung eines Traumes und eines lang ersehnten Planes: durch die faszinierenden und fast unbekannten Länder Osteuropas zu reiten, und zwar nicht nur durch Slowenien und Ungarn sondern vor allem durch einige ehemalige sowjetische Republiken. Eigentlich wollten wir Moskau erreichen, aber diese Stadt ist uns verschlossen geblieben.
Seit dem Jahr 1993 haben wir unsere ganze Freizeit dazu gewidmet, Reisen zu Pferd zu unternehmen. In dieser Reiseart sehen wir nämlich die ideale Verbindung von unserer Liebe für den Reitsport mit dem Wunsch, wirklich anders zu reisen, frei von jeglichem motorisierten Verkehrsmittel, und vor allem in einem langsamen Takt, die einzige Möglichkeit - unserer Meinung nach - für die Wiederentdeckung unserer Umwelt und für die Herstellung eines echten Verhältnisses zu unseren Mitmenschen.
Eigentlich sind wir immer “alternativ” gereist, und zwar mit dem Fahrrad oder zu Fuss, aber seit Jahren hatten wir das Reisen in ferne Länder aufgegeben, da wir müde waren, doch am Ende immer Touristen zu sein, und wir haben versucht, nahe Länder mit neuen Augen zu sehen. Und das wurde möglich dank unseren Pferden...
Nachdem wir unsere Kräfte mit zwei kürzeren Reisen in Italien 1993 und 1994 auf die Probe gestellt hatten, sind wir im Sommer 1995 50 Tage durch Österreich und Deutschland geritten und haben die Nordsee in Dangast erreicht
Der volle Erfolg dieser Reise hat uns den Mut und die Begeisterung gegeben, einen Plan von 3000 km aus der Schublade der Träume herauszuziehen.
Fast zwei Jahre haben wir uns mit der Vorbereitung der Reise beschäftigt. Sehr zeitraubend war das Lernen der russischen Sprache, die aber so schön und mitreissend ist, dass es uns nie schwergefallen ist, abgesehen davon, dass es sich als absolut unentbehrlich erwiesen hat (und es wäre noch besser gewesen, wenn wir auch ein kleines bisschen Ungarisch gelernt hätten).
Sehr unangenehm und sogar sehr frustrierend waren im Gegenteil die Kontakte mit den Reitverbänden der verschiedenen Staaten und vor allem die endlosen bürokratischen Formalitäten für unsere Visa, die tierärtzlichen Papiere und die Zolldokumente.
Bei der Vorbereitung all dieser Unterlagen haben wir nicht nur festgestellt, dass NIEMAND, nicht einmal Konsulate und internationale Spediteure, wusste, was notwendig war, sondern auch, wie tief die Vorurteile gegen die osteuropäischen Länder verwurzelt sind.. Kurz: man wollte uns nicht ernst nehmen. Wozu wollten wir gerade in diese (angeblich).gefährlichen, unfreundlichen Länder reisen? Und noch dazu zu Pferd ?
Vielleicht deswegen haben wir trotz unserer Mühen keinen Sponsoren gefunden, obwohl diese Reise bestimmt von europaeischer Bedeutung war; nur die Provinz Udine ist uns entgegengekommen und hat uns teilweise finanziell geholfen.
Eine weitere Schwierigkeit besteht in dem häufigen Wechseln des Verfahrens, um ein Visum für die ehemaligen sowietischen Republiken zu bekommen. Wir wurden auch dadurch geschadet, da uns wegen eines fehlenden Stempels der letzte Teil der Reise entfallen ist; auf 400 km im russischen Gebiet und auf Moskau, die Krone des Ganzen , mussten wir leider verzichten!
Nach monatelanger mühsamer Arbeit an der bürokratischen Seite der Reise (noch zwei Tage vor dem Abritt sind die Zollgenehmigungen für Slowenien nicht fertig und nur mit der entscheidenden Hilfe des italienischen Konsulats in Ljubljana war es dann soweit...) kommt endlich der lang ersehnte Tag. Am 29. Juni um halb zehn offizielle Begrüssung mit kleiner Abschiedsfeier auf dem Hauptplatz unseres Dorfes und dann los ! Wir reiten durch eine wohlbekannte Landschaft, die uns aber sonderbar und fast geheimnisvoll erscheint, wenn wir nur daran denken, dass wir jetzt nach Russland reiten.
Die erste Etappe, 40 km, führt uns nach Görz an der slowenischen Grenze, wo wir am Abend mit unseren engsten Freunden und Fans weiterfeiern... Am nächsten Morgen überqueren wir nicht ohne Herzklopfen unsere erste Grenze, aber alles geht problemlos.
Wir reiten durch ganz Slowenien (500 km zirka) in 12 Tagen. Wir folgen im grossen ganzen der alten römischen Strasse, die Italien mit Pannonien (das heutige Ungarn) verband, und zwar durch Ljubljana, Celje und Ptuj. Vor 100 Jahren hätten wir bestimmt ohne Schwierigkeiten entlang diese Strasse reiten können, und wir hätten bestimmt auch Gasthöfe mit Ställen gefunden. Jetzt gerade diese Strasse und ihren Verkehr vermeiden!
Übrigens sind die Täler der Sava und der Savinja ja der logische und auch der schnellste Weg nach Ungarn. Dank einem kurzen Artikel, der in der Zeitschrift “Konij” des slowenischen Reitverbandes erschienen ist, wissen fast alle slowenischen Pferdenarren von unserer Reise und sie sagen uns herzlich willkommen in ihren Häusern und Pferdeställen. Slowenien erscheint uns als ideales Land für eine Reise zu Pferd: die Landschaft ist sehr schön und abwechslungsreich, es gibt viele nicht asphaltierte Strassen in bestem Zustand und wunderbare Waldwege, aber vor allem sind die Leute nett und hilfsbereit zu den Reisenden. Alle grüssten uns und lächelten uns an, und waren sehr froh, mit uns ein wenig zu plaudern.
Am 11. Juli kommen wir in Ungarn an. Ungarn, mytisches Pferde- und Reiterland, enttäuscht uns ein wenig: es scheint uns, als sei die Pferdekultur nicht so tief verwurzelt, im Gegenteil, sie scheint nur eine Show für die Touristen geworden zu sein. Was uns gar nicht enttäuscht, ist die Landschaft: weite hügelige Landschaften, Weiden und Felder, mit Getreide und Sonnenblumen bebaut, ein weiter Horizont, den wir gar nicht gewohnt sind. Unsere Route durchquert das ganze Land: wir reiten entlang das Südufer des Balaton, wir überqueren die Donaubrücke in Dunafoldvar, reiten an den Städten von Kecskemet und Nyiregyhaza vorbei . Der Höhepunkt ist natürlich der Nationalpark von Hortobagy, im Herzen der mytischen ungarischen “puszta’.
Es ist tatsächlich spannend, mit dem eigenen Pferd durch diese Gegend zu reiten, die von so vielen Dichtern und Malern besungen und dargestellt worden ist. Charakteristisch sind auch die kleinen Häuser umgeben von Gärten, wo im Sommer die Farben von hunderten verschiedenen Blumen regelrecht “explodieren’, und die unverwechselbaren Pusztabrunnen, die man von weitem in der Heide sehen kann und wo die Herden (und auch unsere Pferde) Wasser finden können.
Der einzige Nachteil von Ungarn ist... die ungarische Sprache, die so furchtbar schwierig ist, weil sie keine Verwandtschaft mit den germanischen oder slawischen Sprache hat. In den kleinen Dörfern auf dem Land, wo kein Tourist je gewesen ist, hatten wir am Anfang nicht wenige Verständigungsschwierigkeiten
Am 5. August, nach einigen wohlverdienten Ruhetagen in dem schönen Reitzentrum von Istvan Kovacs in Nyiregyhaza, überschreiten wir die Grenze der gewünschten/gefürchteten Ukraine, die in unserer Phantasie von dem lateinischen Satz HIC SUNT LEONES (Hier sind die Löwen ) gekennzeichnet ist..
Aber die einzigen Löwen, die in der Ukraine zu sehen sind, stehen auf dem Wappen der Stadt L’viv (auf deutsch Leonberg). Sonst ist es fast idyllisch: die Sonne scheint, der Himmel ist heiter, die Flüsse sind wasserreich, grüne Weiden mit unzähligen Heugarben erstrecken sich bis zum Horizont und die Leute sind offen, grosszügig und gastfreundlich.
Da es kaum Reitställe und /oder Gasthöfe für die Reisenden gibt, bitten wir jeden Abend die Bauern auf der Strasse um eine Übernachtungsmöglichkeit und jeden Abend werden wir eingeladen, in einem Haus zu übernachten, während unsere Pferde Platz im Hof finden oder manchmal auch in einem etwas geräumigeren Stall als gewöhnlich. Übrigens ist das Pferd der wahre Kathalysator von diesen Begegnungen, denn es stellt uns sofort in Einklang mit Leuten, die noch ein alltägliches Verhältnis mit der Natur und den Tieren haben.
Unsere Route geht an der Stadt Uzgorod vorbei, überwindet die Karpathen bei dem Uzokpass (900 m), und dann geht weiter nach Norden, nicht weit von der polnischen Grenze, bis Weissrussland (600 km ) An einem Ruhetag besuchen wir die Stadt L’viv, die ihr mitteleuropäisches Gepräge noch bewahrt.
Am 21. August kommen wir endlich in Weissrussland an. Wir reiten in Richtung Nord--Osten etwa 400 km bis zur Hauptstadt, Minsk, die wir am 2. September erreichen. Hier bleiben wir eine Woche, um die notwendigen Papiere für die Überschreitung der russischen Grenze vorzubereiten.
Bis jetzt ist das Wetter immer schön und warm gewesen. Aber nach einem einzigen Regentag sinkt die Temperatur um 20 Grad herab und ein kalter, schneidender Westwind begleitet uns bis zum Ende der Reise. Aber das spielt keine Rolle, wir ziehen alle unsere Klamotten an und reiten weiter, denn das Ziel ist nicht mehr weit und wir sind auch stolz darauf, 2000 km mit Pferden in der besten Kondition geritten zu haben. Das gibt uns die nötige Entschlossenheit. Wir haben noch nicht die russischen Visa bekommen, aber wir wissen, dass die notwendigen Unterlagen mit dem ORIGINALSTEMPEL des Aussenministeriums von Moskau nach Minsk per Express gesandt wurden, und wir sind sicher, sie rechtzeitig zu haben. Von der Stadt Vitebsk, nur 40 km von der russischen Grenze entfernt, lassen wir unsere Pferde im Stall des Kolchozes “Rote Armee” und fahren mit dem Zug zurück nach Minsk zur russischen Botschaft. Es ist der 19. September und der Brief aus Moskau ist noch nicht angekommen. Anfang Oktober sollten wir wieder zu Hause sein. So sehen wir uns gezwungen, auf Moskau zu verzichten und entscheiden uns für eine alternative Route gen Norden, mit Rückkehr zu Pferd nach Minsk, denn wir wollen unbedingt 3000 km reiten.
Die alternative Route erweist sich zum Glück als sehr schön und interessant.
Wir reiten durch stimmungsvolle Landschaften, die wir sonst nie gesehen hätten. Der weissrussische Herbst zündet die Farben der Vegetation mit Rot und Gelb an, und bildet starke, fast blendende Kontraste. Es ist so, als wären wir mitten im Buch ‘Doktor Schiwago’: vereinzelte Birkengruppen, dunkle Fichtenwälder, einsame Seen, deren Ufer mit gelben Blättern bedeckt sind...Die Blockhäuser mit ihren buntbemalten Fensterrahmen stechen mit scharfen Umrissen gegen den dunkelblauen Himmel hervor.Die Böden sin ideal zum Reiten: weich, sandig, ohne Steine; die Strassen sind fast alle unbefestigt und die wenigen, die asphaltiert sind, haben einen weiten sandigen Rand auf beiden Seiten.
Hier fahren die pferdebespannten Karren, die das meist verbreitete Verkehrsmittel auf dem Land sind.
In Weissrussland lernen wir nicht nur die Gastfreundlichkeit der Bauern kennen, sondern haben auch die Chance, einen Blick von innen in die wirtschafliche Struktur der Kolchoze (Agrargenossenschaften) zu werfen und offiziell als “italienische Delegation’ eingeladen zu werden. Das geschieht dank der Gesellschaft “Belarus-Italien” von Minsk, deren Sekretär, der junge und aktive Vladimir Dolidovitch, uns diese Kontakte vermittelt. So sind wir zu Gast in den Städten Smolievici und Vitebsk, bei vielen Kolchozen und sogar bei einer grossen staatlichen Stierzuchtstätte in Nesviz.
Am 30. September sind wir wieder in Minsk (Ratomka), bei dem weissrussischen Reitverband, und mit Auto+Anhänger fahren wir mit Sebiba und Terek nach Hause.
Länge der Reise: ca. 3000 Km
Reisetage: 66
Durchschnittliche Tagesstrecke: 46 km ca.
Unsere Pferde:
SEBIBA, neunjährige Stute, arabisches Halbblut, in unserem Dorf geboren, zuverlässige, unermüdliche Kameradin aller unserer Reisen;
TEREK, fünfjähriger angloarabischer Wallach, in Sardinien geboren, an seinem ersten wirklich anspruchsvollen Erlebnis (1996 hatten wir ihn mit einer 800 km langen Reise durch Italien auf die Probe gestellt).
Training: drei Monate vor der Abreise, eine Stunde Trab im Gelände jeden Abend, und sonntags einen ganztägigen Ausritt.
Ausrüstung:genau die gleiche wie bei den früheren Reisen, mit einigen kleinen Verbesserungen. Wir haben ganz normale englische Sättel verwendet. Jedes Pferd trug insgesamt 20 kg Reisegepäck neben Sattel und Zaumzeug. In den zwei selbstgenähten Satteltaschen hatten wir Kleidung, Waschzeug, eine gute Reiseapotheke, einen Paar Schuhe, die topographischen Karten, eine Trinkflasche, einen kleinen Vorrat an Proviant, das Notbeschlagwerkzeug und vier Hufeisen. Hinter dem Sattel war eine wasserdichte Plastikrolle für den Schlafsack befestigt und vor dem Sattel eine andere, längliche Plastikrolle mit Pferdewolldecke und Pferderegenmantel.
Dieses Jahr haben wir auf das Zelt verzichtet. Unbedingt notwendig sind eine gute, wasserdichte Kartentasche, zwei kleine Säcke aus festem Stoff für die Mittagsration an Hafer und ein zusammenklappbarer, wasserdichter Eimer.
Fütterung: jeden Tag 6-7 Kg Hafer , in drei Mahlzeiten aufgeteilt; am Abend reichlich Heu. In der Mittagspause immer ein paar Stunden Weide. Manchmal gab es nur Gerste oder Mais zur Verfügung, aber gewöhnlich war Hafer (eimerweise !) immer da. Nur auf den Karpathen haben sich 5 Tage lang unsere Pferde nur mit Gras und Heu begnügen müssen.
Beschlag:in Ungarn, in der Ukraine und in Weissrussland sind Pferde fast immer unbeschlagen und gute Hufschmiede sind sehr, sehr selten. Unsere Hufeisen (“padkovi” auf russisch) erregten immer grosses Aufsehen. Dario hat unsere Pferde zweimal selbst beschlagen: einmal in Nyiregyhaza, in Ungarn, nach ungefähr 1000 km, und das zweite Mal in Minsk, nach anderen 1000 km.