Von Friaul nach Deutschland, von der Adria bis zur Nordsee: das war die Route unserer Reise zu Pferd, die wir im Sommer 1995 unternommen haben. Von unserem Wohnort Premariacco sind wir durch Österreich, Bayern, Hessen und Niedersachsen bis zur Nordseeküste in Dangast (bei Varel) geritten. Die ganze Reise hat sieben Wochen gedauert. Der Grundgedanke, der uns dazu bewegt hat, war der Wunsch, die wirkliche Bedeutung des "Reisens" wieder zu entdecken, und zwar die Bedeutung des Weges statt des Zieles in einer Zeit, wo die modernen Verkehrsmittel die Entfernung zwischen Abfahrtspunkt und Ankunftspunkt praktisch auf Null reduziert haben. Nur seit einigen Jahrzehnten ist das Pferd ein langsames Mittel geworden: über viele Jahrtausende dagegen war es tatsächlich das schnellste Verkehrsmittel, das den Menschen zur Verfügung stand, und sein Gebrauch hat die Entwicklung vieler Kulturen bedingt. Wir haben die Langsamkeit dieser "altmodischen" Reise genossen, wo die Hauptfiguren nur zwei Pferde und zwei Menschen waren, ohne irgendeine motorisierte Hilfe.
Dario Masarotti, Tischler und Möbelrestaurator, und Antonietta Spizzo, Lehrerin, von Premariacco (Udine), jeweils mit "Sibelius", 10 Jahre alt, schwarzbraunes Halbblut (unbekannte Rasse!), und Sebiba, 7 Jahre alt, braunes arabisches Halbblut. Beide Pferde hatten unsere (etwas kürzeren) Reisen im Sommer 1993 (durch die südlichen Dolomiten) und 1994 (durch Südtirol) mitgemacht.
Im Jahr 1995 ist Oesterreich endlich Mitglied der EU geworden und so ist es endlich möglich geworden, eine Reise zu Pferd nach Deutschland zu unternehmen, um sozusagen mit einer direkten Linie die Adria mit der Nordsee zu verbinden. Die Idee war für uns auch deswegen sehr attraktiv, weil wir dachten, das Klima würde in Deutschland angenehm kühl sein.
Darüber hinaus ist Deutschland bekanntlich ein Land von grosser Pferdetradition und -kultur und die Deutschen sind überzeugte Reisende und Wanderer: so waren wie hundertprozentig sicher, dass Pferdereisende überall eine offene Tür finden würden.
Schon im Frühjahr 1995 habe ich an viele Fremdenverkehrsverbände von Bayern, Hessen und Niedersachsen geschrieben, um Informationsmaterial über diese Gebiete zu sammeln. Ich habe auch an einige Landeskommissionen des Deutschen Reit- und Fahrvereins (FN) geschrieben, in der Sicherheit, einige gute Ratschläge für den Routenverlauf zu bekommen. In meinen vielen Briefen habe ich sehr ausführlich unser Vorhaben geschildert. Einige Adressen habe ich dem "Reiter-Atlas" entnommen, einem dicken Buch, das mir die (falsche) Vorstellung gegeben hat, in Deutschland sei das Wanderreiten wirklich überall verbreitet und sehr populär.
Während mir die Tourismusverbände umgehend geantwortet haben und mir eine ganze Menge Broschüren/Freizeitkarten/ Reitanlagenverzeichnisse geschickt haben, war die Reaktion der FN nicht sehr wirkungsvoll: sie haben mir die Adressen von Unterkommissionen und Regionalverbänden mitgeteilt, an die ich mich wenden sollte.
Was as Training der Pferde betrifft, in den zwei Monaten vor der Abreise haben wir jeden Abend eine gute Stunde Trab gemacht, und am Sonntag einen ganztägigen Ausritt.
Jedes Pferd trug insgesamt 30 kg Gepäck, darunter Sattel, Zaumzeug und das eigentliche Reisegepäck. Ich mache eine ausführliche Liste: zwei Satteltaschen pro Pferd, wo unsere Kleidung (nur absolut notwendige Klamotten!), Waschzeug, eine Trinkflasche, ein kleiner Vorrat an Proviant, das Notbeschlagwerkzeug und zwei Hufeisen Platz fanden; eine wasserdichte Plastikrolle fürs Zelt (auf Sibelius); eine wasserdichte Plastikrolle für zwei Schlafsäcke (auf Sebiba); zwei längliche, selbstgenähte, wasserdichte Plastikrollen, wo jeweils eine Wolldecke fürs Pferd, ein Regenmantel für Pferde und einer für den Reiter Platz fanden; die Kartentasche; zwei kleine Säcke aus festem Stoff für die Mittagsration an Hafer; ein zusammenklappbarer, wasserdichter Eimer (unser bestes Stück!).
Die grösseren Rollen waren hinter dem Sattel angebunden, die dünneren und längeren vor dem Sattel. Wir haben ganz normale englische Sättel verwendet.
Zu Hause bekamen unsere Pferde gewöhnlich eine Mischung von Getreideflocken, aber ungefähr drei Monate vor der Abreise haben wir angefangen, sie an den Geschmack von ganzen Getreidekörnern zu gewöhnen, damit sie auf der Reise alles gerne fressen würden. In Deutschland haben sie immer Hafer zur Verfügung gefunden, in Oesterreich dagegen war fast nur Gerste da.
Die gute, gesunde Pferdefütterung war stets unser erste Gedanke und unsere grösste Sorge, was natürlich selbstverständlich für alle Reiter ist. Dafür haben wir eine sehr grosse Freude gehabt: nach 50 Tagen harter Arbeit wogen unsere Pferde genau wie vor der Abreise, und zwar 460 kg jedes Pferd. Unterwegs haben die Pferde jeden Tag 6 kg Kraftfutter bekommen, in drei Mahlzeiten aufgeteilt; am Abend gab es auch reichlich Heu und in der Mittagspause konnten sie ein paar Stunden Gras weiden.
Selbstverständlich sind wir mit einem nagelneuen (im wörtlichen Sinn!) Beschlag losgeritten, aber die harte Route in den Bergen Oesterreichs hat die Eisen so verbraucht, dass sie schon nach 15 Tagen total kaputt waren. Der erste deutsche Beschlag hat in Pfeffenhausen (Bayern) stattgefunden, der Schmied war Alois Biernach aus Scheittenbach. Der zweite deutsche Beschlag kam 900 km und genau einen Monat später, als wir praktisch fast am Ziel waren: die weicheren mitteldeutschen Böden haben die Eisen nicht so schnell kaputtgemacht. Unser zweite Schmied war Wilfried Bender aus Visbeck.
Wir sind am 6. Juli 1995 von Premariacco losgeritten und sind in Dangast, an der Nordsee, am 24. August 1995 angekommen. Insgesamt waren wir 50 Tage lang auf Reise, mit 9 Tagen Pause dazwischen. Die Autobahnroute beträgt genau 1300 km, aber aus der Entfernungsberechnung auf den Karten geht hervor, dass wir zu Pferd gute 1600 km geritten sind.
Am 10.Juli sind wir in Oesterreich angekommen, am 17. Juli waren wir schon in Tittmoning (Bayern). Durch die Alpen sind wir auf dem uralten Weg der Saümer geritten, die im Mittelalter und bis zum 18.Jahrhundert mit ihren Pferdekarawanen Salz, Gold und Pelze nach Venedig trugen und dann mit Wein, Gewürzen und Seide den umgekehrten Weg gingen. Auch wenn es uns heute fast unmöglich scheint, überquerte der Haupthandelsweg gerade den hohen Hochtorpass (2504 m) in den Grossglocknermassiv, und stieg dann auf der Nordseite der Hohen Tauern in das steile Seidlwinkltal ab, das heute ruhig und unberührt das Herz des Nationalparks bildet.
Die Saümer fanden dann Unterkunft in dem Rauriser Tauernhaus (1500 m), das noch heute existiert und stolz sein Alter von über 500 Jahren auf einem Holzschild zeigt. Dort haben wir wie die alten Händler im Heu übernachtet und sind dann in das Salzachtal abgestiegen, dann weiter durch Zell am See, Maishofen, Saalfelden und Lofer nach Salzburg geritten.
Am 18. Juli haben wir angefangen, quer durch Bayern in Richtung Nordwesten zu reiten. Wir wollten möglichst nach einer geraden Linie reiten, aber gleichzeitig wollten wir nicht nur die Städte, sondern auch die grösseren Dörfer meiden. Daraus entstand für uns eine regelrechte "full immersion" in die bayrische Landschaft: schönes welliges Gelände mit unendlichen Hafer- und Weizenfeldern, grossen vereinzelten Bauernhöfen, Sonnenblumen und Hopfengärten, die für Abwechslung sorgten. Der einzige Nachteil: böse Fliegen und Bremsen, die unsere Pferde verrückt machten (ab Würzburg aber gab es keine mehr).
Wir haben die Inn, die Isar und die Donau überquert, sind durch das wunderschöne Altmühltal geritten, dann immer in Richtung Nordwesten durch den Steigerwald haben wir am 31. Juli den Main in Kitzingen erreicht.
Am 5. August lag endlich das bayrische Gebiet hinter uns und nach einer kurzen aber sehr schönen Strecke in Thüringen kamen wir endlich nach Hessen. Hier ist die Landschaft auch sehr hügelig, sehr abwechslungsreich und sehr intensiv bebaut. Wir sind die Weser entlang geritten, durch schöne alte Dörfer mit phantastichen Fachwerkhäusern.
Ab dem 12. August reiten wir durch Niedersachsen: die Hügel werden allmählich niedriger und sanfter, bis endlich die lang ersehnte norddeutsche Ebene mit ihren weichen, sandigen Böden unter den Pferdehufen liegt. Ueberall schöne Bauernhöfe umgeben von Eichen und Birken, aber vor allem Pferde! Das war für uns die schönste Ueberraschung. In Hessen und Niedersachsen sind nämlich die Pferde (mit den Kühen, natürlich) die absoluten Hauptfiguren der ländlichen Landschaft: überall tolle Pferde der bekannten Rassen Hannover, Oldenburg, Hessen, die praktisch jeder Bauer züchtet.
Und überall auch Haflinger, Isländer, Norweger mit ihrer "Punk-Mähne", die riesengrossen Friesen, die Araber, sogar die peruanischen "Paso Fino"!
Was kann ein Wanderreiter mehr von einer Reise verlangen? Nur eins: dass die Temperatur ein bisschen kühler wird (auf den Regen kann man ja verzichten).
Ab 27. Juli ist keine winzige Wolke am deutschen Himmel mehr zu sehen, und als wir am 24. August unser Ziel erreichen, sind alle Bauern wegen der Trockenheit verzweifelt und die norddeutsche Landschaft erinnert immer mehr mit ihren braunen Farben an die spanische Meseta.
Heiter und weiterhin störungsfrei, hatten die Zeitungen wochenlang berichtet: jetzt sind wir soweit und am 25. August kommt der erste Regen. Unsere Fotos am Strand von Dangast zeigen ein typisch deutsches graues Wetter. Wenn wir jetzt unsere Route auf der Landkarte schauen, sehen wir eine ziemlich gerade Linie, mit blauem Leuchtstift aufgezeichnet, und wir sind auch ziemlich stolz darauf: wir haben diese Route ganz allein "erfunden", mit der einzigen Hilfe der topographischen Karten.
Von den ersten drei Etappen in Friaul abgesehen, wurde vorher keine andere geplant. Wir sammelten jeden Tag unterwegs Informationen über mögliche Unterkünfte für unsere Pferde in einem Reitstall oder bei Bauern. Natürlich funktioniert das nur gut, wenn man höchstens zu zweit unterwegs ist, mit einer grösseren Gruppe wäre es unmöglich.
Von der deutschen Gastfreundschaft und Hilfsbereitschaft waren wir ganz begeistert, es ging alles so glatt, dass wir manchmal glaubten, zu träumen.
In Norddeutschland, wo überall so viele Pferde sind, war es auch noch viel einfacher, die Pferde bei Bauern, kleinen Pferdezüchtern oder Pferdefans unterzustellen, Oft haben wir auch ein regelrechtes Bett bekommen, und fast immer umsonst. Wir hatten zwar unser kleines Kuppelzelt dabei, aber wie alle Wanderer gut wissen, ist es früh am Morgen sehr umständlich, das nasse Zelt wieder einzupacken, und so versuchten wir immer in einem duftigen (und praktischen) Heuboden zu schlafen, wo immer es möglich war.
Landschaftlich ist es ohne weiteres Österreich, und zwar die Tauernüberquerung, der Höhepunkt der Reise gewesen: immer, wenn ich meine Gedanken schweifen lasse, sehe ich vor mir die Gletscher in der Sonne und auf dem grünen, alten Säumerweg Darios Pferd, Sibelius, das langsam zwischen den Alpensrosen hinaufgeht. Aber das ist nicht das Wichtigste für uns gewesen: die schönsten Augenblicken, die schönsten Ueberraschungen kanmen von den Leuten, die wir unterwegs kennengelernt haben.
1000 km lang haben wir eine sehr ungewöhnliche Seite Deutschlands gesehen, und zwar ein ländliches Leben, an die traditionellen Tätigkeiten gebunden (Viehzucht, Landwirtschaft), wo es keine Hektik gab und die Leute Lust hatten, einen menschlichen Kontakt zu finden. Oder war das vielleicht der geheime Einfluss der Pferde, der in unserem Unterbewusstsein weiterwirkt?
Unterwegs wurden wir immer begrüsst, and alle lächelten uns an: das machte uns bei allen Strapazen der Reise unglaublich froh. Wenn man unterwegs mit dem Pferd ist, und nicht mit irgendeinem Fahrzeug, sei es auch mit einem Fahrrad, ist man sehr von der Umgebung und von den Leuten abhängig, und es ist schön, diese unaufgeforderte Sympathie zu spüren. Man fühlt sich sofort akzeptiert.
Viele Leute fügten dem Gruss noch einen netten Satz hinzu, wie z.B. "Ihr kommt bestimmt von weit weg" oder "Man sieht, dass ihr eine lange Reise macht", und das war sehr angenehm zu hören, statt einem dürren "Woher kommt ihr denn?", das wie ein Verhör klingt.
Wenn wir in einem Dorf eine Pause machten, um was einzukaufen, kam regelmässig jemand zu uns und fragte, ob wir Wasser für die Pferde brauchten, oder sogar, ob uns etwas fehlte. Als ich einem netten alten Mann gesagt habe, dass wir tatsächlich einen Löffel und eine Gabel brauchten, da ich das Taschenmesser mit dem Reisebesteck verloren hatte, sagte er zu mir "Warten Sie nur fünf Minuten", und er kam wieder mit einem ganzen Bestecksortiment. "Nehmen Sie nur, was Sie brauchen!" und dazu wollte er uns unbedingt eine ganze Menge von leckeren Lebensmitteln schenken, die ihm seine Frau für uns gegeben hatte.
Je nördlicher wir kamen und je mehr Pferde zu sehen waren, desto stärker wurde in uns der Eindruck, dass auch die Freundlichkeit der Leute grösser wurde. So viele nette Leute haben sich um uns gekümmert und spontan in ihre Häuser eingeladen und "betreut" und "gefüttert", ohne Misstrauen, auch wenn sie praktisch nichts von uns wussten. Viele Leute haben uns sogar ihre Hilfe angeboten, noch bevor wir sie danach fragten.
Ich will zum Schluss erzählen, was uns in dem kleinen Dorf Drentwede bei Diepholz (Niedersachsen) passiert ist, weil es uns wirklich bedeutungsvoll scheint. Es war sechs Uhr abends, als ich gemerkt habe, dass Sibelius ein hinteres Eisen verloren hat. Dario springt ab und kontrolliert besorgt den Zustand der anderen Eisen. Es verlaufen keine fünf Minuten und schon kommt ein alter Herr zu uns, der von seinem Gemüsegarten aus die Szene beobachtet hat, und fragt, ob er uns helfen kann. Schneller als mit dem Pannendienst des Automobilclubs werden alle Probleme gelöst und das ganze Dorf macht mit: wir können mit den Pferden in dem Garten seiner Nachbarin, Hildegard Rohlf, kampieren, während man versucht, einen Hufschmied telefonisch zu erreichen.
Am nächsten Vormittag um zehn Uhr treffen sich in Rohlf's Garten der Hufschmied, ein Journalist der lokalen Zeitung und alle Teilnehmer der "Rettung": man unterhält sich ohne Eile unter dem Sonnenschirm, trinkt gemütlich Kaffee und streicht Butter auf die Brötchen. Ein Bild von alten Zeiten, von Zeiten ohne Hast, während nur 100 Meter weiter auf der Bundesstrasse 81 die Autos vorbeirasen. Niemand von diesen Autofahrern wird je ahnen, welch nette Leute in Drentwede wohnen. Ich glaube, wir müssen alle viel von ihnen lernen. Antonietta Spizzo 1996
Dieser Bericht erschien 1996 auf "Pferd und Freizeit", Verbandszeitschrift der VFD (Vereinigung der Freizeitreiter in Deutschland)